KAPITEL ZWEI
HEILIGENSEE
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15. Jahrhundert und der Schmiede des Dorfschmieds, aus der die gleichmäßigen Schläge zu hören sind. Man sieht es in Gedanken so richtig vor sich: Im Hintergrund das lodernde Feuer, und vorn das glühende biegsame Eisen, das per Hammer mit sprühenden Funken in die richtige Form geschlagen wird.
Das ursprüngliche Dorf Heiligensee samt Dorfanger liegt auf einer Halbinsel zwischen der Havel und dem namensgebenden Heiligensee. Doch mittlerweile erstreckt sich der Ortsteil längs der Havel weiter nach Süden bis zum Ortsteil Konradshöhe.
Heiligensee wurde im Jahr 1308 erstmals urkundlich erwähnt – und zwar aufgrund des Verkaufs einer Wiese an das Kloster Spandau. Der Name des Dorfes stammt vom See, dessen Wasser als heilig galt und deshalb
„Hyelegensee“ genannt wurde. Es heißt, dass sich am Grunde des Sees eine Kirche befindet, deren Turmspitze man bei spiegelglatter See sehen kann und deren Glocken bei Stille zu hören sind.
Der damalige Besitzer des kleinen Dorfes war der Ritter Johannes von Bredow. Es war eine friedliche Zeit – Überfälle von den Raubrittern brauchte niemand im Dorf zu befürchten, da die Familie von Bredow mit den Raubrittern befreundet war.
Im Landbuch von Kaiser Karl IV. von 1375 wird Heiligensee als eine verhältnismäßig große und bevölkerungsreiche Ansiedlung beschrieben. Ein Teil des Dorfes gehörte zu dieser Zeit den Bredows, und sechs Hufen Land gehörten den Spandauer Kalandsbrüdern. Kalandsbruderschaften, Bruderschaften von Geistlichen und Laien, gab es zu dieser Zeit einige in deutschen Städten, so auch in Spandau. Hielten sie anfangs Seelenmessen von Verstorbenen ab, widmeten sich die christlichen Bruderschaften später der Armenunterstützung und der Pflege von Kranken. 23 Kossäten waren als Arbeitskräfte in Heiligensee angesiedelt, um ihre Ländereien zu bestellen.
Die Dorfkirche war und ist auch heute noch der Mittelpunkt des Dorfes. Doch war dies höchstwahrscheinlich nicht die erste Kirche Heiligensees – schon 1308 muss das Dorf eine Kirche gehabt haben – mit großer Wahrscheinlichkeit aus Holz.
Der Kern der heutigen Kirche geht wahrscheinlich auf das Ende des 15. Jahrhunderts zurück. Die freigelegten Wände im Jahr 1959 gaben Aufschluss über ihr Alter: die Umfassungsmauern bestanden aus einem Durcheinander von großen unbehauenen Feldsteinen, Bruchsteinen und Ziegeln im Klosterformat. Die Kirche wurde in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder umgebaut. Der heutige Turm wurde zwischen 1707 und 1713 errichtet und 1761 umgebaut. Dabei bekam er auch seine Haube.
Das Dorf erlangte seit dem Ende des 14. Jahrhunderts zunehmend Bekanntheit, weil es am damals stark frequentierten Pilgerweg Berlin – Wilsnack lag. Dieser führte seit 1383 über die Fähre nach Spandau und war wichtig für den Handel. Sie wurde auch als Fluchtmöglichkeit genutzt, als der Raubritter Dietrich von Quitzow 1402 unter dem Schutz der Bredows über die Fähre vor seinen Verfolgern floh.
Doch alles änderte sich, als im Jahr 1509 eine Brücke bei Hennigsdorf „über die Havel geschlagen“ wurde. Weil die Straße nach Hamburg an Heiligensee vorbeiführte und die Fähre an Bedeutung verlor, wurde es still im Dorf.
Die erste Postagentur entstand 1892 in der Dorfkirche, und eine weitere wichtige Institution war die Freiwillige Feuerwehr, die 1908 auf dem Dorfanger einzog.
Mitte der 1920er Jahre gab es dann auch Strom und Wasser im Dorf.
Angebunden war das Dorf an die Kremmener Bahn mit ihren Stationen Schulzendorf und Heiligensee.
Von dort ging es weiter mit dem Kleinertschen Pferdeomnibus. Im frühen 20. Jahrhundert tobte in Heiligensee vor allem am Wochenende das Leben, kamen doch die Berliner aus der Stadt hierher, um Dorfidylle, Ausflugslokale und Havel-Natur zu genießen. Rund um den Dorfanger gab es vor einem Jahrhundert diverse Ausflugslokale und Freizeitangebote: Eine original Luftschiffaufnahme aus dem Jahr 1930 zeigt den Vergnügungspark Tivoli aus der Vogelperspektive. Er ist 1945 abgebrannt.
Um den Ausflüglern den Weg ins Grüne und den Heiligenseern den Weg in die Stadt zu erleichtern, wurde 1913 die erste Straßenbahnlinie eröffnet – und in diesem Zusammenhang auch das Straßenbahndepot Alt-Heiligensee 73. Die Schienen sind auf dem Grundstück noch deutlich zu sehen, die über den Hof bis zu der großen Halle führen. Am 28. Mai 1913 wurde die Straßenbahnlinie 29 nach Alt-Heiligensee feierlich eröffnet, und „60 Ehrengäste mit ihren Damen und einige Pressevertreter bestiegen am Beginn der Strecke auf dem Dorfanger den mit Blumen geschmückten Straßenbahnzug“, heißt es. Die Linie 29 fuhr von Alt-Heiligensee die Kirschallee entlang – so hieß die Heiligenseestraße früher – über Tegel, Müllerstraße, Schulstraße, Exerzierstraße bis in die Rügener Straße in Wedding.
Zu den historischen Gebäuden Alt-Heiligensees gehört auch das 1912/13 entworfene, heute unter Denkmalschutz stehende Straßenbahndepot. Die 450 Quadratmeter große Halle nutzte der Künstler Siegfried Kühl viele Jahre als Atelier.
Einige historische Gebäude sind auch heute noch vorhanden – neben der Dorfkirche auch das Alte Pfarrhaus in Alt-Heiligensee 45-47, das ehemalige Schulhaus von 1896 in Alt-Heiligensee 56, die Gaststätte
„Dorfaue“ von 1869 in Alt-Heiligensee 67 und das älteste Wohngebäude aus der Zeit von 1740 bis 1786 in Alt-Heiligensee 71.
Seit dem 1. Oktober 1920 ist Heiligensee ein Teil von Berlin. Im August und September 2008 beging Heiligensee mit zahlreichen Veranstaltungen rund um den historischen Dorfanger sein 700. Jubiläum. Ein Gedenkstein erinnert an den 700. Geburtstag des Dorfes mit Wappen und einem Gedicht von Franz Krummnow von 1917:
HEIL’GENSEE AM HAVELSTRANDE,
DIR GILT MEINER SEHNSUCHT ZIEL
WO IM BRANDENBURG’SCHEN SANDE
ICH GESPIELT MEIN KINDERSPIEL
DENK’ ICH DEINER KIEFERWÄLDER,
DEINES SEES GRÜNER FLUT,
DEINER AUEN, DEINER FELDER,
WIRD MIR HEISSER STETS MEIN BLUT.